„Die fetten Jahre sind vorbei“, dachte sich der Siebenschläfer und stellte die Fortpflanzung ein. So könnte eine vermenschlichte Geschichte über die kleinen heimischen Nager enden. Auch wenn Siebenschläfer so nicht denken, reagieren sie doch signifikant auf „fette“ und „dürre“ Jahre ihrer Futterbäume Buche und Eiche. Das ist aber nichts besonderes, denn viele Tierarten passen ihren Lebensrhythmus an vorhandenes Futter an. So können beispielsweise Nagetiere, aber auch Wildschweine in Jahren mit reichlichem Nahrungsangebot mehr Junge großziehen. Das Außergewöhnliche ist, dass Siebenschläfer ihren Lebensrhythmus an fette und dürre Ernte anpassen, lange bevor die Fruchtproduktion der Bäume abgeschlossen ist. Das Wiener Institut für Wildtierbiologie untersucht, wie Siebenschläfer buchstäblich „in die Zukunft sehen“ können.
„Es scheint so. Denn Siebenschläfer wissen im Frühjahr, ob im Herbst genug Futter zur Aufzucht der Jungen da sein wird“
, erklärt Thomas Ruf vom Institut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Uni Wien. Die Wissenschaftler vermuten hinter diesem Phänomen natürlich keine hellseherische Fähigkeiten, sondern ahnen, dass die Tiere eben auf frühe Anzeichen der Umwelt reagieren, die uns verborgen bleiben. So könnte es sein, dass die Tiere schon am Pollenflug von Buche und Eiche erkennen, wie viele Blüten geöffnet sind. Pollendetektoren der Tiere sind bisher jedoch nicht bekannt. Die Dissertantin Karin Lebl testete eine andere Theorie: Ist das Nahrungsangebot im Frühjahr ausschlaggebend für die Entscheidung, in Fortpflanzung zu investieren?
Frühjahrsfutter bestimmt Fortpflanzung
In der Natur wäre dies plausibel. Als frühe Nahrungsquelle dienen Blütenknospen und junge Früchte der Buchen und Eichen: Je mehr Knospen die Tiere finden, umso wahrscheinlicher ist es, dass eine große Zahl von Bucheckern und Eicheln genau dann reif sein wird, wenn die Jungen zur Welt kommen. „Kein anderer Winterschläfer gebärt so spät im Jahr – erst im August“, meint Claudia Bieber, die seit 15 Jahren an Siebenschläfern forscht. Nicht zufällig ist im August die Reifezeit der Bucheckern und Eicheln, deren hoher Fett- und Proteingehalt die perfekte „Power-Nahrung“ zur Aufzucht der Jungen ist. In den Experimenten von Karin Lebl wurde der Einfluss der Nahrung auf den Fortpflanzungserfolg der Siebenschläfer im selben Jahr gemessen, indem wertvolle Nahrung (Sonnenblumenkerne) zugefüttert wurde.
„Tiere, denen im Frühjahr mit Zusatzfutter ein ,fettes Jahr‘ vorgegaukelt wurde, pflanzten sich verstärkt im Herbst fort“. Es war nicht etwa der Energiegehalt des Futters oder das Körpergewicht ausschlaggebend, sondern allein die Anwesenheit von Futter war das Signal, das die Fortpflanzung auslöste. Damit war die Hypothese bestätigt, dass die Vorhersehbarkeit der herbstlichen Fortpflanzung vom Frühjahrsfutter bestimmt wird.
Wer sich im Tierreich auf Buchen und Eichen als Nahrungsgrundlage verlässt, lebt ein unregelmäßiges Leben. Diese Bäume produzieren ihre Früchte mit großer Unvorhersehbarkeit – eine Strategie gegen Fraßfeinde. In einzelnen Jahren, den Vollmastjahren, tragen alle Buchen Früchte. Der ökologische Sinn steckt in der Überproduktion: So viele Bucheckern können die Räuber gar nicht fressen, dass nicht reichlich Samen zur Baumvermehrung übrig bleiben. In „intermediären“ Jahren trägt manche Buche Früchte, manch andere nicht. So können sich Fraßfeinde nie darauf einstellen, ob im Herbst genug Nahrung da sein wird. „Die Vollmastjahre treten in unregelmäßigen Abständen alle drei bis 15 Jahre auf“, erklärt Ruf. Dies sind die Jahre, in denen Siebenschläfer ihren Nachwuchs produzieren. Je länger die Tiere auf ein Vollmastjahr warten müssen, umso älter werden sie auch, bis zu zwölf Jahre – viel älter als andere Tiere dieser Größenordnung. Siebenschläfer sterben erst, wenn sie ihren Reproduktionserfolg geschafft haben.
Rekordverdächtige Datenbasis
Die Wartezeit auf ein Fortpflanzungsjahr ist ebenso ungewöhnlich wie die lange Zeit, die Siebenschläfer im Winterschlaf verbringen. „Mit durchschnittlich acht Monaten halten sie den Weltrekord der Hibernation“, meint Bieber. Rekordverdächtig ist zudem die Datenbasis, die den Wissenschaftlern zur Verfügung steht: Schon seit 1984 führt der Niederösterreicher Franz Schieferdecker Buch über das Vorkommen von Siebenschläfern in den 200 Nistkästen, die er aus privatem Interesse an der Vogelwelt im Wienerwald rund um St. Corona am Schöpfl anbrachte. Während andere Ornithologen Siebenschläfer, die sich in den Vogelnistkästen breit machen, erschlagen, dienen Schieferdeckers Aufzeichnungen über nistende Siebenschläfer nun der wissenschaftlichen Langzeitstudie.
Quelle: diepresse.com
Schreibe einen Kommentar